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Die Kirchentür als schwarzes Brett?

Eine persönliche Einordnung von Ulrich Kestler, Marie Anne Niederhoff und Michael Schwermann

Anfang Oktober wurde in den Medien bekannt, dass die katholische Kirche nicht nur in Deutschland in einen Missbrauchsskandal verwickelt ist: 330.000 Opfer sexualisierter Gewalt soll es in der französischen Kirche gegeben haben, in 216.000 Fällen waren die Täter offenbar Geistliche. Und genau diese beiden Zahlen wurden wenige Tage später auf die Kirchentür von St. Januarius gesprüht.

Sachbeschädigung nennt man das wohl. Aber ist das alles?
Richten wir den Fokus doch mal auf die Intention des Sprayers oder der Sprayerin und die Fragen, die sich daraus ergeben. Blinde Zerstörungswut oder doch eher ein stummer Protest? Vielleicht sogar ein bewusst symbolischer Akt, 504 Jahre nachdem Luther seine Thesen an die Kirchentür in Wittenberg genagelt hat? Und worüber regen wir uns mehr auf: über die Tat der "Türbeschmierung" oder über jede einzelne der hunderttausendfachen Missbrauchstaten? Muss die Kirche, müssen wir vor Ort dem Thema mehr Aufmerksamkeit widmen? Sind wir als Kirche in Niedersprockhövel nur symbolisch mitschuldig oder gab es auch hier Opfer?
Auch wenn immer mehr Menschen aus der Kirche austreten und die Kirchen leerer werden, so haben Kirchengemeinden immer noch eine wichtige soziale Funktion vor Ort; und wenn sie gehört werden wollen, sollten sie sich einmischen und Stellung beziehen. Da darf man als Kirchengemeinde durchaus die Meinung vertreten, dass man Inhalt und Tempo der bisherigen Aufklärung des Missbrauchsskandals und auch den Umgang mit den Opfern nicht gerade als gelungen bezeichnen kann.

Und wie gehen wir nun mit den Zahlen an unserer Kirchentür um? Abschleifen und neu streichen, kostet ein paar Hundert Euro, Schwamm drüber? Aber das, was hinter der Aussage steckt, das zigtausendfache Leid der Opfer - das lässt sich nicht einfach unsichtbar machen. Und kostet nach wie vor Seelenheil. Vielleicht wäre es angebracht, die Zahlen an der Tür stehen zu lassen. Sie nicht einfach zu übertünchen, unter den Teppich zu kehren, wie es viel zu lange mit dem Missbrauchsskandal geschehen ist. Betrachten wir sie doch als Mahnmal, das uns jedes Mal, wenn wir die Kirche betreten, vor Augen führt, dass wir unsere Stimme gegen das Unrecht erheben sollen. Was ja durchaus Bestandteil der christlichen Werte ist.

Es stünde uns gut zu Gesicht, offen und dialogbereit mit dieser Situation umzugehen.

 

Foto: Ulrich Kestler